So entwickelt ihr eure Rollen - ein Startpunkt
Ein erster Schritt in die kollektive Führung oder die Selbstorganisation kann sein, euch von Positionen zu lösen und mit Rollen zu arbeiten. Grundsätzlich ändert das schon komplett das Mindset dafür, wie ihr eure Arbeit organisiert. “Plötzlich” wird alles was ihr tut inhaltlich geclustert und im Auftrag des Teams erledigt. Jede Rolle verfolgt einen Purpose und kann auch wieder abgeschafft werden, wenn sie nicht mehr gebraucht wird. Es gibt keine Karrierepfade mehr, keine Hierarchiestufen und keine Statussymbole mehr.
Rollen sind ein wichtiges Element in der kollektiven Führung. Sie bieten Flexibilität, Transparenz, Selbstbestimmung und Sinnhaftigkeit. Eine Rolle entsteht dann, wenn sie wiederkehrende Verantwortlichkeiten erfüllt. Einmalig oder zweimalige anfallende Aufgaben benötigen keine eigene Rolle.
Der Purpose der Rolle - die Sinnhaftigkeit
Die Grundlage jeder Rolle ist ein Purpose. Jede Rolle bündelt Verantwortlichkeiten, die dem gleichen Purpose folgen. So ist klar, was ihre Bestimmung ist und damit bekommt jeder klare Handgriff einen Sinn. Es geht nicht mehr ums Blumengießen, sondern um z.B. das Wohlbefinden des Team, den Sauerstoffgehalt und damit die Konzentrationsfähigkeit im Büro oder das Stresslevel des Teams. So kann auch neue Motivation für eine Aufgabe oder Verantwortlichkeit entstehen, die zuvor einfach sinnlos erschien.
Selbstbestimmung und Transparenz
Innerhalb ihrer Verantwortlichkeiten agiert eine Rolle autonom. Sie entscheidet selbst, wie sie die Verantwortlichkeiten ausführt und wie sie den Purpose der Rolle erfüllen möchte. Wenn wir beim überaus simplen Beispiel des Blumengießens bleiben: Selbstbewässernde Töpfe, Zeitschaltbewässerungssystem, Kakteen oder manuelle Gießen mit der Kanne. Die Entscheidungen rund um die Verantwortlichkeiten trifft die Person, die die Rolle innehat, eigenständig, es sei denn, es wurde im Team explizit anders vereinbart. Welches Entscheidungsverfahren das richtige für welche Szenarien sein kann, könnt ihr gemeinsam diskutieren: “Entscheidungsfindung in der Selbstorganisation”.
Gleichzeitig macht es der Grundsatz der Transparenz erforderlich, dass für jede:n im Team nachvollziehbar ist, wer woran arbeitet und aus welchen Gründen aktuell ein Fokus auf Thema xy gelegt wird. Dazu gehört auch, dass klar sein muss, welche Ziele ein Kreis bzw. eine Rolle verfolgt und mit welchen anderen Rollen gegebenenfalls Abhängigkeiten und Abstimmungsbedarf bestehen.
Völlige Flexibilität
Etwas, das im Vergleich zu Positionen auch völlig anders funktioniert ist die Flexibilität. Man muss nicht mehr so viele Dinge auf einer Position bündeln und ihr dann einen Titel geben, bis 40 Stunden voll sind. Rollen lassen euch flexibel werden und geben euch auch im Recruiting völlig neue Möglichkeiten. Sie ermöglichen euch neue Arbeitszeitmodelle und eröffnen weiten auch den Blick für die Kompetenzen, die tatsächlich für die Erfüllung der Verantwortlichkeiten bzw. des Purpose benötigt werden. So können kleine Rollen mit beispielsweise 3 Wochenstunden entstehen oder es lassen sich vielleicht 5 Rollen von einer Person besetzen, die möglicherweise gar nicht in einem Kreis zusammengefasst werden. So kommt ihr weg von der 40 Stunden-Standard-Arbeitszeit und viele “andere” Bewerber:innen können plötzlich bei euch anklopfen.
So macht ihr einen ersten Aufschlag für eure Rollen
Wenn ihr mit Rollen starten möchtet, empfehlen wir, dass sich jede Person in eurem Team für etwa zwei Wochen alles notiert, woran sie arbeitet.
Alles notieren & clustern
Was macht sie, was steht auf der to-Do Liste, worum sollte sie sich eigentlich kümmern, hat aber zeitlich nicht geklappt. Auf die Liste kommt alles, was gemacht wird, auch wenn es nicht unbedingt das ist, wofür man "eingestellt" oder "bezahlt" wird. Zu den "unwichtigen" Dingen gehören beispielsweise Blumen gießen, Team-Lunch organisieren, Zuhören, wenn jemand Probleme hat, usw. Der Grundgedanke dahinter ist, dass diese Aufgaben eben doch wichtig sind und durch das Notieren bekommen sie die Chance in einer Rolle transparent gemacht zu werden. So erhalten die Dinge Sichtbarkeit im Team und eben auch die entsprechende Wertschätzung. Es ist für das Gefühl einfach ein großer Unterschied, ob man sich heimlich um die Blumen kümmert / Vertrauensperson ist (usw.), oder den Auftrag und damit die Bestätigung durch das Team bekommt, dass das etwas wichtiges ist, was alle brauchen.
Am Ende der zwei Wochen setzt sich die Person bzw. jede:r im Team hin und versucht die Verantwortlichkeiten zu clustern. Alle Dinge, die inhaltlich zusammengehören bilden ein Cluster.
Purpose finden & diskutieren
Je Cluster kann nun überlegt werden, was der Zweck dieser Rolle ist. Warum tut sie was sie tut? Warum ist es wichtig? Wozu leistet sie damit einen Beitrag? Wenn der Zweck der "Fünfmal Warum" Frage standhält, ist es wahrscheinlich tatsächlich ein Zweck.
Ein Beispiel: Recruiting. Warum machst du das? Um Talente zu gewinnen - um die Kompetenz des Teams zu erweitern - um möglichst vielen Menschen zu vermitteln, dass wir ein toller Arbeitgeber sind - usw. Sobald die Rollen im Team diskutiert werden, und das werden sie, wenn alle mit ihren Rollen fertig sind, muss transparent gemacht werden, welche Rollen bisher nur theoretisch vorhanden sind. Das kann insbesondere bei den Führungsrollen passieren. Manchmal fallen wichtige Führungsaufgaben einfach hinten runter. Nun können sie explizit vom Team “bestellt” werden oder einfach an eine andere Person abgegeben werden. Mehr zu den Führungsrollen erfährst du hier “Welche Führungs- und Managementrollen braucht unser Kreis?”.
Alle Rollen sind doof
Die Frage, was passiert, wenn jemand alle seine Rollen doof findet, ist sehr berechtigt. Sie ist gleichzusetzen mit der Frage, was passiert, wenn jemand seine Position blöd findet. Sie geht Hand in Hand mit den theoretischen Rollen. Sobald das Team die Rollen diskutiert, kann ebenfalls diskutiert werden, welche Rollen tatsächlich vom Kreis gebraucht werden und darüber hinaus könnte jemand, der eine Rolle nicht gerne übernimmt, dies transparent machen und versuchen sie abzugeben. Falls jemand Immer noch 90% seiner Rollen doof findet, wäre eine Idee den Governance-Rollen der Kreise mitzuteilen, dass Veränderungsbedarf besteht. So besteht die Möglichkeit, sich neu zu erfinden und ungeliebte Rollen "auf dem Rollenmarkt" abzugeben.
Ein Schritt der vor oder nachgelagert sein kann, ist die Erstellung der Kreise. Ob Ihr hier eine Person aus dem Team beauftragt, eine Initiale Struktur zu erstellen, oder die bisherigen Teams als Grundlage nehmt, es geht beides. Viel wichtiger ist eine Instanz, die die gesamte Kreisstruktur im Blick behält und einen Weg definiert, wie sie iteriert werden kann.