Was wir mit Pferden lernen können
Pferde faszinieren. Sie lassen wenige Menschen kalt. Sie sind Krafttiere und flößen uns Respekt ein. Sie sind großartige Co-Trainer, wenn es darum geht Führungskompetenzen zu entwickeln und zu reflektieren. Aber wie genau soll das funktionieren?
Als ich selbst das erste Mal von pferdegestütztem Management-Training hörte, dachte ich mir “Was für ein Quatsch”. Ich selbst reite seit meinem 10. Lebensjahr und konnte mir nicht vorstellen, was Pferde mit dem Unternehmensalltag zu tun haben könnten bzw. was ich aus einem pferdegestützten Training mitnehmen können sollte. Es war für mich so wenig wirksam wie ein Team-Tag im Kletterpark - einfach eine gute Zeit gemeinsam haben…
Mit meiner Ausbildung zur Fachkraft für tiergestützte Interventionen änderte sich diese Perspektive. Ein zentrales Element im pferdegestützten Coaching ist die Selbstreflexion und damit die Integration des erlebten in den (Unternehmens-) Alltag. Welche Erkenntnisse sich im pferdegestützten Coaching gewinnen lassen, lässt sich besser verstehen, wenn wir uns die Natur der Pferde genauer ansehen.
Das Pferd das Flucht-, Steppen- und Herdentier.
Pferde kommen ursprünglich aus der Steppe. Eine karge Landschaft, in der sie stets von allen Seiten angegriffen werden können und im Falle eines Angriffs schnell flüchten müssen. Sie achten auf ihre Herde, um Anzeichen für Feinde schnell “im Team” verteilen zu können. Wenn einer Alarm schlägt, sind alle weg.
Als Fluchttiere sind sie mit einer sehr feinen Wahrnehmung ausgestattet. Sie nehmen kleinste Bewegungen ihrer Umwelt war, hören vermutlich den Herzschlag anderer Lebewesen und spüren Schallübertragungen durch die Luft und durch den Boden. Sie riechen Angst, Aggression, Krankheiten und auch weit entfernte Wasserquellen. Sie kommunizieren lautlos, allein durch ihre Körpersprache und Bewegung “im Raum”, denn der Feind hört stets mit.
Als Herdentiere sind sie auf ein möglichst konfliktfreies Miteinander angewiesen. Sie gehen auf “Neulinge” zu und machen damit stets ein Beziehungsangebot, fordern aber auch eine Einordnung in die Rangordnung ein. Sie sind es gewohnt Führung zu übernehmen und zu überlassen, Grenzen zu setzen und zu respektieren.
Im Dialog mit dem Menschen testen sie kontinuierlich die Führungsfähigkeit und die Vertrauenswürdigkeit ihres Gegenübers. Sie nehmen eine inkongruente Kommunikation, bei der die innere Absicht nicht mit der äußeren Handlung bzw. Haltung übereinstimmt, wahr. Im Kontakt verfolgen Pferde keine strategischen Ziele, sondern sind stets im Hier und Jetzt.
Pferde leben in einer selbstorganisierten Struktur
Pferde leben in einer selbstorganisierten Struktur. Das klingt komisch auf den ersten Blick, macht aber Sinn. Es gibt keine hierarchische Struktur, in der das Leittier eine Vorgabe macht und alle halten sich dran. Es gibt eine klar (Rang-) Ordnung, die abhängig ist von der Situation, der Gruppenzusammenstellung, der Altersstruktur und den Vertrauensverhältnissen in der Herde. Es gibt klare Regeln, die befolgt werden müssen, bestimmte Aufgaben und Anrechte, aber keine “gebunkerten” Machtverhältnisse. Jedes Tiere kann eine neue Position einnehmen, je nach Situation und kompetenzbasiert die Führung übernehmen. Allein durch die Klarheit in der Organisation, liegt der Schlüssel dazu, energieraubende Konflikte zu meiden und das Überleben der Herde zu sichern.
Leittiere zeichnen sich u.a. dadurch aus, dass sie sozial hoch kompetent, besonders stressresistent, selbstsicher, durchsetzungsstark und nicht aggressiv sind.
Pferde verstehen Menschen immer ganzheitlich. Sie lesen alles, was es gibt und im Bereich Körpersprache zu sehen ist. Dazu gehört sowohl die Körperhaltung, das Bewegungsverhalten, die Blickausrichtung, die Gestik und Mimik als auch die Ausstrahlung und welche Emotionen vorhanden sind - Geduld, Empathie, Entspannung, Anspannung, Ablehnung usw.
Um ein Pferd dazu zu bewegen, die Person als Führungskraft wahrzunehmen, benötigt es Sicherheit, Vertrauen und Orientierung. Das sind Dinge, die jedem von uns vertraut sind, denn man selbst möchte ebenfalls diese Dinge wahrnehmen, wenn es um Führung geht. Der feine Unterschied zum Pferd liegt darin, dass Pferde alles sofort wahrnehmen, was zu diesen Dingen führt und eine prompte Rückmeldung geben.
Was Pferde können und Menschen nicht
Eine Führungskraft kommt neu in ein Team und alle im Team haben vielleicht sogar sofort ein schlechtes Gefühl mit ihr - niemand würde auf die Führungskraft zugehen und ihr spiegeln “Du wirkst unsicher und planlos. Ich kann deinen Angstschweiß riechen.” Und selbst wenn eine Person das täte, wäre dieses Feedback so fehl am Platz, dass die Person mit negativen Konsequenzen zu rechnen hätte und die Führungskraft das Feedback nicht annehmen und auch nicht internalisieren könnte. Mit dem Pferd ist das was anderes. Das Pferd spiegelt dich und bleibt dabei vollkommen neutral. Es bewertet dich nicht und bleibt stets im Hier und Jetzt. Wenn du deine Haltung (körperlich und mental) änderst, sagt es nicht - “das war aber gerade noch anders” - sondern “jetzt vertraue und folge ich dir” oder eben nicht.
So können wir das Pferd im Coaching wunderbar einsetzen, um innere Muster bewusst werden zu lassen und zu reflektieren, wie diese uns im Alltag unterstützen oder blockieren. Wir können Glaubenssätze aufdecken, die förderlich oder hinderlich sind und unser Verhalten mit Blick auf Führung, Problemlösung, Entscheidungen und Konflikte zu reflektieren.
Letztlich ist ein Kern des pferdegestützten Coachings das Selbst- und Fremdbild wertfrei miteinander abzugleichen.