Erschöpft durch zu wenig Handlungsspielraum


Zuerst erschienen auf The Org Project - Science for New Work

Viele Angestellte mit wenig Verantwortung gehen nach 40 Stunden Arbeit pro Woche auf dem Zahnfleisch. Selbstständige hingegen arbeiten oft 60 Stunden und mehr pro Woche – und sind damit zufrieden. Wie kann das sein?

Eine Studie von Gouldner zeigte schon 1954, dass Minenarbeiter unter hohem Arbeitsdruck angespannter waren, wenn ihre Arbeit stark überwacht wurde. Auch Crozier (1964) sowie Drabek und Hass (1969) fanden heraus: Die Belastung der Mitarbeiter nimmt zu, wenn diese sowohl viel arbeiten mussten als auch strikten Regeln unterworfen waren bzw. wenig Handlungsspielraum hatten.

Eine Erklärung für dieses Phänomen bietet das Anforderungs-Kontrolle-Modell (job demand-control model, 1979) des US-amerikanischen Soziologen Robert Karasek. Es besagt, dass die psychische Belastung nicht von einem einzigen Aspekt der Arbeit abhängt. Eher ist sie ein Zusammenspiel von Arbeitsanforderungen und dem Umfang von Handlungsfreiheit, die der Arbeitende zur Verfügung hat.

Im Klartext: Wer viel zu tun hat und nur wenig Handlungsspielraum eingeräumt bekommt, wird wahrscheinlich sehr schnell erschöpfen – und im schlimmsten Fall im Burn-Out enden.

Wenn aber zum Beispiel ein Selbstständiger sehr viel arbeitet und trotzdem gut drauf ist, liegt es wohl daran, dass kein Chef ihm haarklein vorschreibt, was er zu tun hat.

Und die Moral von der Geschicht’? Es ist nicht unbedingt nötig, den Arbeitsumfang zu reduzieren. Es könnte schon helfen, den Mitarbeitern mehr Freiraum zu geben, um selbst Entscheidungen treffen zu können.

PS: Diese Erkenntnisse widersprechen den Theorien von Frederick Taylor, die besagen: Es erhöht die Produktivität, wenn man die Arbeiter von „unnötigen Entscheidungen“ befreit und sie einer strikten Kontrolle des Managements unterwirft. Nicht nur wurde die psychische Belastung der Arbeiter damals offenbar übersehen – nach den heutigen Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass die Demoralisierung der Arbeiter durch die starke Kontrolle die positiven Effekte auf die Produktivität sogar aufgehoben hat.

Wann immer es also Pläne gibt, eine zentralisierte Entscheidungsstruktur einzuführen, sind die psychischen Auswirkungen auf die Mitarbeiter zu berücksichtigen.


Co-Autorin: Lydia Krüger

Quellen:

Crozier, M. (1964). The Bureaucratic phenomenon. An examination of bureaucracy in modern organizations and its cultural setting in France.

Drabek, T. E., & Haas, J. E. (1969). Laboratory simulation of organizational stress. American Sociological Review, 223-238.

Gouldner, A. W. (1954). Patterns of industrial bureaucracy.

Karasek Jr, R. A. (1979). Job demands, job decision latitude, and mental strain: Implications for job redesign. Administrative science quarterly, 285-308.


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