New Work Story - Die Einführung von Holokratie bei MYCS


Im Mai haben wir mit einem der Gründern von MYCS über ihren Weg bei der Einführung von Holokratie gesprochen. Im folgenden Text haben wir für dich die wichtigsten Punkte zusammengefasst. Falls du das ganze Interview hören möchtest, kannst du es in unserem Podcast Kollektive Führung im Gespräch nachhören.

Das ist MYCS

MYCS ist ein Unternehmen, indem verschiedene Welten aufeinander treffen: das klassische Möbelgeschäft wird mit der neuesten Konfigurator-Technologie kombiniert. MYCS ist, mit 7 Showrooms, einem Logistikzentrum in Stettin (Polen) und dem Headquarter in Berlin, über mehrere Standorte verteilt. Bei MYCS ist es möglich ganz individuell die eigenen Möbel zu designen, indem bestehende Designs in Größe, Farbe, Material und Ausstattung an den eigenen Geschmack und Bedarf spielerisch angepasst werden können. 

MYCS wurde von einem Team von vier Gründern aufgebaut. Außerdem sind Investoren an Bord, die mit den Gründern auf einer Linie sind und nicht nach dem schnellen, größtmöglichen Exit streben, sondern wirklich etwas Neues ausprobieren wollen und somit Profit und Nachhaltigkeit erreichen möchten. 

Um der Dynamik des Marktes gerecht zu werden hat sich MYCS auf den Weg gemacht Holokratie in der gesamten Organisation auszurollen. 

Nachdem Holokratie jetzt komplett in der Zentrale in Berlin (und den Showrooms?) ausgerollt wurde, soll sie jetzt auch auf das Logistikzentrum in Polen ausgedehnt werden. Außerdem soll mittelfristig ein transparenteres Gehaltssystem entwickelt werden. Auch ein Why-Workshop, um dem Purpose noch weiter auf den Grund zu gehen, steht noch an (dieser wurde nach unserem Interview durchgeführt, mit folgendem Ergebnis: To encourage people to live their uniqueness, so that they can shape their world.). Über den bisherigen Weg und die nächsten Schritte haben wir mit einem der Gründer und dem Holokratie-Initiator, Kai Sap, gesprochen. 

So sind sie dort hingekommen

Die Entscheidung Holokratie einzuführen ist aus der Not geboren, um mit der Komplexität und Schnelligkeit, die in einem Startup herrscht umgehen zu können. Des Weiteren gab es bei MYCS, wie in vielen Startups, viele Berufseinsteiger*innen. Die Frage vor der die Gründer standen war: Diktator sein und Befehle zu brüllen  oder Kompetenzen aufbauen, was aber Zeit braucht? Um den besten Weg zu wählen, wurde viel mit dem erfahrenen Investorenkreis gesprochen. Außerdem haben die beiden Bücher Reinventing Organization von Laloux und Holacracy von Robertson für Inspiration gesorgt. 

Daraufhin wurde entschieden einen Piloten zu starten und Holokratie im Operations Team (12-15 Leute) zu testen. Dieser Test dauerte am Ende 1,5 Jahre. Hierfür hat das Team auch externe Hilfe bekommen, um die Transformation zu begleiten. Es gab es auch Workshops mit den Team, um die Strukturen der  Holokratie kennenzulernen und auch anwenden zu können. Allerdings wurde Holokratie nicht in Reinform eingeführt, sondern eher in einer Art Lightversion mit Governance und Tactical Meetings. Als diese Strukturen einigermaßen routiniert abliefen, wurde weiter experimentiert. Doch die erste Krise ließ nicht lange auf sich warten. Es sollte ein neues Lager Management System  eingeführt werden und der Go Live war ein völliges Desaster. Dann war MYCS auf einmal mit einer richtigen Krisensituation konfrontiert: Make or Break. Hier sind sie automatisch in den Notfall-Modus gewechselt, da es niemanden gab, der dafür eingestanden ist, im Holokratie-Modus zu bleiben. Es gab wieder eine Person die die Ansagen macht und vorgibt, was zu erledigen ist. Der Planungshorizont war vielleicht 2 Stunden und es ging darum Schadensbegrenzung zu betreiben. Das ging dann ca. 2 Monate so. Es war eine harte Zeit, in der die Leute einem enormen Druck ausgesetzt waren. Um den abzulassen, haben sie dann “Emo-Meetings” abgehalten, wo alles rausgelassen werden durfte, was sich angestaut hatte. Was beim ersten Meeting auch zu einigen Tränen führte. Hierdurch hat sich die Feedback-Routine merklich verbessert. Es ist möglich, auch kritische Dinge, offen anzusprechen. 

Nach dieser turbulenten Phase, gab es wieder Zeit einen Schritt zurück zu treten und in einer Retrospektive darauf zu schauen, warum sie, in dieser Krisensitutation, eigentlich wieder in den Hierarchie-Modus gewechselt sind. Das Ergebnis war, dass sich eigentlich alle einig waren, dass sie diese Situation mit Holokratie vermutlich besser gelöst hätten. Damit war klar, dass die Holokratie nun aufs ganze Unternehmen ausgerollt werden soll. Und zwar zu 100 %. 

Danach haben Patrycja, welche die Holokratie-Adaption im Unternehmen leitet  und Kai  in Amsterdam eine Holokratie Ausbildung bei Brian Robertson gemacht. Dabei wurde deutlich, dass Holokratie in der Testphase an der Halbherzigkeit und nicht vorhandenen Klarheit gescheitert war.  Und ganz wichtig: Holokratie ist nicht die Lösung aller Probleme. Man kann es als Rahmen nutzen und versuchen Klarheit zu schaffen und Info-Blasen zu vermeiden, indem z.B. kleine Infos in Echtzeit zur Verfügung gestellt werden. Heute nutzt MYCS auch holaspirit, eine Software welche für selbstorganisierte Teams entwickelt wurde, um die eigene Struktur abzubilden und für alle sichtbar zu machen. 

Ein anderer wichtiger Pfeiler sind die Werte und die Vision (make customization the new normal). Die Werte sind die, auf denen das Unternehmen aufgebaut wurde und sind daher ganz am Anfang von den Gründern entwickelt worden.  Die Werte dienen als Handlungsleitlinien. Der Purpose (Zweck der Existenz) ist bei MYCS aber noch wichtiger als die Werte. Das heißt , wenn die Werte dem Purpose entgegenstehen, dürfen die Werte auch mal außer Acht gelassen werden. Um den Purpose noch klarer zu machen, steht noch ein Why-Workshop (nach Simon Sinek) an.  

Um das Unternehmen selbstständig weiter auf dem Weg der Holokratie entwickeln zu können, hat MYCS außerdem selber Kompetenzen zum fazilitieren der Transformation ins Unternehmen geholt und treiben diese jetzt intern mit aller Kraft voran. 

Alle neuen Kolleg*innen bekommen am Anfang das Buch Holokratie, um sich mit der Theorie vertraut zu machen. Dann gibt es interne Workshops an denen die Neuen teilnehmen sollten.

Momentan gibt es vier Change Angels, die Teams und Einzelpersonen unterstützen, wenn es nicht rund läuft. Alle Leute im Unternehmen  können auf die Kompetenzen dieser Change Angels zugreifen und manchmal passiert es auch, dass die Change Angels proaktiv Hilfe anbieten. 

Das waren die größten Hindernisse auf dem Weg zu New Work

Neben der oben genannten Krisensituation ist eine große Herausforderungen, der langwierige Lernprozess. In der Adaptionsphase geht es darum die Köpfe umzuprogrammieren. Hierbei muss eine innere Haltung entwickelt werden. Und das geht nur, wenn es zu 100 Prozent umgesetzt wird und es braucht Zeit. 

Auch kommt es immer wieder zu Widerständen. Einmal sagte ein Mitarbeiter bei einer Check-In Runde: “Was muss passieren, damit wir wieder den Weg zurück anstoßen?” Wichtig ist es hierbei ganz klar zu sein, dass es kein Zurück in die Hierarchie gibt und auch die Mühen, die durch die Transformation entstehen, anzuerkennen. Ein offener Umgang mit Kritik ist unabdingbar in diesem Prozess. 

Das rät Kai  den Leuten bzw. Unternehmen, die sich auf den Weg machen wollen

Ein guter Start ist es,  sich selber mit dem Thema zu beschäftigen und sich klar zu machen, was der Weg für einen selbst und das Unternehmen bedeuten könnte. Das Buch Reinventing Organization kann hierbei helfen. 

Außerdem so viel wie möglich mit anderen Unternehmen sprechen, die das schon ausprobiert haben. Und gerade mit denen, bei denen die Implementierung gescheitert ist. Davon kann man viel lernen und die gleichen Fehler evtl. vermeiden. 

Der Austausch mit anderen ist wichtig, um in eine Richtung zu finden, in die man losgehen möchte, aber man kommt nicht drum rum die Sachen selber auszuprobieren (wie z.B. das Gehaltssystem) und für das eigene Unternehmen anzupassen und  weiterzuentwickeln. Immer wieder schauen: passt unsere Unternehmung zu dem System, brauchen wir das überhaupt? Ist das Mindset grundsätzlich da, das überhaupt zu machen? Hierbei spielt auch das Management Back-up eine entscheidende Rolle. Es sollten mindestens 80% an Bord sein. 

Und zum Schluss ist es noch wichtig sich die Expertise ins Unternehmen zu holen (intern oder extern).  Ein, zwei Tagescoachings und dann geht’s los: das ist, wohl zum Scheitern verurteilt.

Das komplette Interview mit Kai Sap gibt es zum nachhören in unserem Podcast Kollektive Führung im Gespräch.


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Transformation ist ein Lernprozess

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